Große Anfrage

Trotz freundlicher Anfrage und zweier GO-Anträge, wurde mir in der gestrigen BVV keine zusätzliche Redezeit eingeräumt, um meine Große Anfrage: Gr_Anfr_kommEZ_V2-1. Deshalb im folgenden mein Manuskript.

Die Antwort der Bürgermeisterin habe ich in hardcopy [update 31.03.] vorliegen. Der kulturpolitischen Ausrichtung der Flüchtlingsarbeit im Rahmen der kommunalen EZ ist sie aufgeschlossen, jedoch nicht aktiv. NaKoPa wird sie dieses Jahr wohl verfolgen, doch hat sie auch hier keinen Enthusiasmus. Ihre Informationen sind veraltet:

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Grosse Anfrage

Sehr geehrte Frau Vorsteherin,
meine Damen und Herren,
liebe Frau Bürgermeisterin,

vielen Dank für die Erwiderung auf meine Große Anfrage.

Es ist schön zu sehen, dass die Flüchtlingsproblematik als grenzübergreifende Herausforderung erkannt wird. Fast noch schöner finde ich zu sehen, dass sich auch die Fragestellungen international angleichen und als gemeinsame Aufgaben verstanden werden. So zeigt eben die Flüchtlingsproblematik die Notwenigkeit sowie die Wege auf, wie internationale Kooperation im 21.Jahrhundert gestaltet werden kann. (Und wie nicht)

Offensichtlich ist, das zur Bewältigung der Flüchtlingsproblematik auf lokaler Ebene die Frage der Unterkunft, der Bildung und der psychosozialen „Gesundheit“ angegangen werden muss und jeweils – also sowohl in Mersin als auch in Berlin – angegangen wird.

  • Zur Bildung sind die Problemfelder Alphabetisierung / Grundbildung, Schulbildung und berufliche (bzw. berufsvorbereitende) Qualifikation identifiziert worden. In Mersin werden diese beispielhaft vom Syrian Social Gathering angegangen und betrieben.
  • Im Gesundheitssektor zeichnet sich sowohl eine Sensibilisierung für den Mehrbedarf an individueller Trauma- und psychosozialer Arbeit ab, andererseits die Notwendigkeit einer gesamtgesellschaftlichen Integration, eine Erweiterung der Kapazitäten der Gesellschaft, mit Wanderbewegungen und demographischen Veränderungen umzugehen – Widerstandsfähigkeit, Resillience, wie die Nachhaltigkeitsziele das nennen – zu schaffen.

Unterschiede in der Herangehensweise an diese Problematiken rühren hauptsächlich aus der verschiedentlichen Verwaltungskultur, die im Falle von Mersin von einer anachronistischen, zentralistischen, statischen Planwirtschaft gekennzeichnet ist und in Berlin durch ein wahrgenommenes, völliges Verwaltungsversagen. Ich brauche nicht die Missstände

  • vor dem LaGeSo vor Augen zu führen,
  • oder jene im ehemaligen Flughafengebäude. Selbst wenn nun – hauptsächlich bedingt durch den reaktionären, menschenverachtenden Schritt Dritter, Grenzen zu schlissen – sich die Situation verbessert, so zeugen diese Missstände doch von einer Unfähigkeit der Verwaltung, den zu antizipierenden Entwicklungen und Bedarfen gemäß zu handeln und zu planen.
  • Denn diese Unfähigkeit setzt sich fort:

  • Ich denke an das Rathaus Friedenau, wo trotz beispielhafter sechs-monatiger Vorlaufszeit, bei Einzug der palästinensischen Flüchtlinge, die Kurden auf jene gehetzt wurden;
  • Ich denke auch an die Teske-Schule, deren Zukunft als Geflüchtetenstandpunkt jeglicher Konzeption entbehrt;
  • Nun sollen Containerdörfer in dem Landschaftsschutzgebiet der Mariendorfer Feldmark errichtet werden!
  • Und selbst Jugendliche werden aus Unterkünften heraus abgeschoben.
  • Es ist diese Hü-Hott-Mentalität, die das folgerichtige Momentum der Willkommenskultur zerstört und die den Erfolg der Fremdenfeinde und der AfD begründet. Was wir brauchen ist eine konsequente Umsetzung der dezentralen Flüchtlingsunterbringung!

In Mersin herrscht eine statische Planwirtschaft. Dort bauen sie eben nach dem top-down entwicklungspolitischen Credo, unbeeindruckt von der aktuellen Flüchtlingsproblematik, einfach mehr und schneller. Das mag dem einen oder anderen hier wie Honig über die Lippen gehen, ist aber alles andere als nachhaltig: Jeder Besucher von Mersin erkennt sofort die städteplanerischen und -baulichen Frevel, die dort begangen werden. Auf unserer Delegationsreise 2013 witzelten wir schon, ob der „Art und dem Maß“ der Wohnsilos, die einer nach dem anderen ohne Sinn und Verstand hochgezogen und aneinander geklatscht werden. Es entstehen Satelliten, deren soziale Auswirkungen in der Banlieu von Paris oder Lissabon abzulesen ist.

Der Plan für ein Neubaugebiet in Mersin steht nämlich schon fest, bevor das Bauland überhaupt erst identifiziert wurde. So geschehen mit der Entwicklung des

  • Projekts, das durch NaKoPa unterstützt werden soll, und die in zweierlei Hinsicht unbefriedigend ist:
    Zum einen wurde aus einem zivilgesellschaftlichem Begegnungsraum, der insbesondere einer Integration von geflüchteten Menschen helfen könnte, ein „Active Aging“ Zentrum. – Nichts, überhaupt nichts, gegen die Integration älter werdenden Menschen in die Gesellschaft. Aber sowohl für die Türkei, deren Alterspyramide – im Gegensatz zu Deutschland – „gesund“ ist, noch für das städtische Mersin – im Gegensatz zu ländlichen Gebieten – noch im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen und entwicklungspolitischen Prioritäten, kann dieses Projekt des „Active Aging Zentrums“ gut geheißen werden.
  • Zum anderen ist die Identifikation des Neubaugebiets, welches mit diesem vordefinierten Plan überzogen werden soll, unbefriedigend. Es führt zu einer weiteren Zersiedelung der Stadt und zerstört wichtige Identifikationesmerkmale des kulturellen Erbes und des gewachsenen sozial-wirtschaftlichen Gefüges, wie eben die semi-städtischen Zitronengärten und Olivenhaine.

Mein Vorstoß mit dem Syrian Social Gathering, welches – vielfach als ehrenamtliche Betroffene – seit mehr als vier Jahren Aufgaben der Flüchtlingshilfe wahrnimmt und gestaltet, die nachhaltige bedarf- und situationsgerechte Entwicklung eines existierenden Stadtteils zu gestalten, soll nicht als Besserwisserei verstanden werden. Vielmehr soll er ein Beispiel geben, wie sich Alternativen auftun, wenn Kapazitäten geschaffen werden und Begegnung und Austausch statt findet.

Beide Verwaltungs- und Planungskulturen müssen sich den zeitgenössischen Herausforderungen, wie sie insbesondere mit den Nachhaltigkeitszielen 4 (Bildung), 11 (Resilienz), 16 (Frieden) und 17: Partnerschaften beschrieben sind, stellen. Tempelhof-Schöneberg ist mit seinen Partnerschaften dafür hervorragend aufgestellt und hat mit seinem evolvierenden Partizipationskonzept in der Bauleitplanung nach §42BezVG einen zukunftsweisenden Beitrag zu leisten, wie die Bezirksvorsteherin auf dem Besuch in Mersin 2013 schon anmerkte.

Diese Potentiale müssen aktiviert und genutzt werden, um die richtigen Rahmenvorgaben der Bundesregierung – europäische Lösung, Einbindung und Unterstützung der Türkei – zum Erfolg zu führen. Dazu muss dieser Bezirk

  1. die Kapazitäten schaffen – es kann selbstverstädnlich nicht angehen, dass 10% eines Vollzeitäquivalent alle diese Aufgaben übernimmt,
  2. die Flüchtlingsproblematik, Willkommenskultur und Integration muss als identitätsstiftende und kulturpolitische Aufgabe verstanden werden, und
  3. der Bezirk muss mit gutem Beispiel vorangehen,
    1. in der Transparenz seiner Informationen, Handlungen und Entscheidungen,
    2. zur Einbindung und Wertschätzung der Beteiligung von Menschen und aus der Zivilgesellschaft und
    3. in der standhaften Verteidigung der Menschenwürde, inklusive dem nicht-verhandelbaren Grund- und Menschenrecht auf Flüchtlingsaufnahme und politisches Asyl.

Kommentare

Eine Antwort zu „Große Anfrage“

  1. Avatar von Michael Ickes
    Michael Ickes

    [gview file=“http://mimaimix.de/icke/wp-content/uploads/2016/03/DAntr_35000.pdf“]

    Antrag abgelehnt