Lieber H.B.,

… Akademie für Konflikttransformation aus 2008.

Ich finde es toll, wie detailreich, stark und überzeugend Du Dich gegen eine Trennung anhand vermeintlicher Gruppenzugehörigkeiten aussprichst. Und erfolgreich, oder? Mir ist jedenfalls seit September kein derartiger Vorstoß mehr untergekommen.

Man mag zynisch sagen, bei der derzeitigen Überforderung ist eine Trennung gar nicht möglich, doch Deine Argumente sollten nicht so verhallen. Denn was Du ja eigentlich propagierst ist Konfliktsensibilität in der Flüchtlingsunterbringung. Da ist es eben nicht damit getan, die Menschen über einen Kamm zu scheren und Friede-Freude-Eierkuchen zu spielen. Die Bezeichnungsdiskussion – Asylsuchende, Flüchtlinge, Geflohene… – schon geht so etwas an den Herausforderungen der Integration vorbei und schafft neue Trennlinien: Mit der Wortwahl verneinen wir doch wieder Integration, wie wir es gerade erst mit der Begrifflichkeit des Gastarbeiters einsehen mussten.

Nach der Verschärfung des Asylrechts in den 90ern waren wir nahe dran, wieder eine breitere Aufnahmepraxis zu etablieren. Dafür lassen wir nun wieder die Lampedusa-Flüchtlinge oder auch die osteuropäischen Roma außen vor.

Auch die dezentrale Flüchtlingsunterbringung birgt ihre Herausforderungen bezüglich einer Trennung. Seit langem bin ich Promoter für eine kommunale Aufnahme, d.h. Kommunen entscheiden, wen und wieviele sie aufnehmen. Weil sie es sind, die idealer Weise die Integrationsleistung erbringen. Selbstverständlich werden sie dafür aufgestellt und entschädigt. Das Prinzip lässt sich ebenso auf Gruppen, Verbände, Kirchen anwenden und bricht auf individuelle Basis hinunter, wonach Menschen dafür entschädigt werden, dass sie ihren Wohn- und Lebensraum mit Geflüchteten teilen. Selbstverständlich läuft das auf Begünstigung von verschiedenen Personengruppen hinaus, doch werden damit die besten Voraussetzungen für eine Integration gemäß der lokalen Kapazitäten gegeben, ohne dass eine Steuerung über die Insentiven verlohren ginge. In Berlin ist der Bedarf an persönlichem Wohnraum in den letzten 30 Jahren von 32qm auf 47qm gestiegen!

Wenn also Konfliktsensibilität in die Flüchtlingsunterbringung gemainstreamt werden soll, glaube ich, sollte allerdings drei Aspekte Beachtung finden, die ich kurz mal gemäß Galtung aufzudröseln versuche: Erstens ist das akute Konflikt- und Gewaltpotential, das von Überfüllung, Monotonie und Entmächtigung herrührt. Zweitens das kulturelle Gewaltpotential, welches wahrscheinlich (theoretisch) mit einer ethnischen Trennung minimiert werden soll, welches wahrscheinlich aber auch eher in den jahrelangen militarisierten bzw. lager-Lebensumständen zu suchen ist. Und drittens, die strukturelle Gewalt, die die Ursache der Flucht und der Fluchtursache – des Krieges, der Not oder der Diskriminierung – sind. Diese Ursachen den Flüchtlingen bewusst werden zu lassen, ist die Lösung des kulturellen Gewaltpotentials.

Bemerkenswert ist, dass das Sonderprogramm vom BMZ / GIZ zur Aufnahmebereitschaft von IDPs in der Ostukraine Konfliktsensibilität mit PSC in Personalunion betreiben will. In dem GIZ Programm in Gaziantep ist das Angehen der strukturellen Gewalt nicht vorgesehen. Dabei bietet sich hier die ganz wunderbare Gelegenheit einer transformatorischen Flüchtlings- und Entwicklungszusammenarbeit. Denn die Herausforderungen sind hier und dort: glokal. Wie ich sie angehe, versuche ich wieder einmal hier: http://mimaimix.de/icke/2829-2/ darzustellen.

Herzliche Grüße,

Michael Ickes