Strategie der Besetzer*innen einer Wohnung im Vorderhaus der Rigaer94

 

Wir, die derzeitigen Bewohner*innen der besetzten Wohnung im Vorderhaus der Rigaer94 möchten unsere Situation etwas genauer beleuchten und unsere Strategie bezüglich des Vorgehens während der Besetzung diskutierbar machen, denn besetzen lohnt sich immer und wir werden probieren, dies an einigen Beispielen zu belegen. Wir entschuldigen uns schon im Voraus, falls der Ablauf unserer Besetzung zu lang ausfällt, aber wir haben uns gedacht, dass so viele Informationen wie möglich interessierten Leuten die Ängste nehmen können, für den Fall einer Nachahmung.

Bezug der Wohnung

Aber beginnen wir am Anfang, nämlich mit der leer stehenden Wohnung. Hier war es sicherlich ein großer Vorteil für uns, dass im gesamten Haus Leute wohnen, denen die Thematik nicht fremd war, denn im Hinterhaus existiert seit mehr als 25 Jahren ein zum Teil besetztes Hausprojekt und im Vorderhaus gibt es die mehr als solidarischen Nachbar*innen, die auch gerne mal gegen die stressenden Bullen pöbeln. Also alles in allem eine gute Ausgangssituation für uns, um 2015 (das genaue Datum werden wir hier nicht veröffentlichen) in eine Wohnung mit funktionierender Elektrik einzuziehen.

Einzug bedeutet hier, dass diese Wohnung in kürzester Zeit komplett
eingerichtet und unseren „Lebensmittelpunkt“ dargestellt hat.
Jene war nicht nur eine Zwischennutzung oder Übergangsnummer,
sondern unsere neue Wohnung, in welcher wir natürlich auch Gäste
über kurze oder längere Dauer nächtigen ließen.

Am Anfang haben wir jeden Tag mit Bullen gerechnet, was aber von Woche zu Woche nachgelassen hat.

Erster Bullenkontakt

Herr Ludger Schröer, hat sich im letzten Jahr durch seine Bemühungen, sowohl das Vorderhaus, als auch das Hinterhaus zu räumen, ganz besonders hervorgetan. Er ist Geschäftsführer der Hausverwaltung Belima und somit jener, der schon mehrmals Menschen, die in unserem Dachboden leben, in die unfreiwillige Obdachlosigkeit zwingen wollte. Aber unsere Nachbar_innen bleiben hartnäckig.

In den Morgenstunden des 10. August 2015 hat er sich ein paar Staatsbüttel genommen, um in unsere Wohnung einzubrechen. Ein Schlüsseldienst öffnete ihnen die Tür. In der Wohnung befanden sich zu diesem Zeitpunkt zwei Gäste, welche dort für eine Nacht gepennt hatten. Sie mussten beide ihre Personalien abgeben und haben eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch kassiert. Es gab zu dieser Zeit keinen Erklärungsversuch unserer Gäste gegenüber den Bullen, sich aus der Nummer rauszureden.

Die Bullen haben Fotos von der Wohnung gemacht und das Schloss ausgewechselt. Sie haben die neuen Schlüssel auf dem Küchentisch liegen lassen, mit der Aussage, „wenn wir die jetzt mitnehmen, ist ab morgen eh wieder ein neues Schloss drin.“

Die Wohnung wurde nicht geräumt. Das Türschloss haben wir natürlich gewechselt.

https://linksunten.indymedia.org/en/node/150460

Internas deuten daraufhin, dass unsere Wohnung an diesem Tag und bis jetzt nicht geräumt wurde, da „wohnähnliche Verhältnisse“ oder „rechtlich beachtliche Wohnverhältnisse“ festgestellt wurden. Es scheint so, dass Menschen nicht aus einer Wohnung (ohne Mietvertrag) sofort geräumt werden dürfen, wenn sich ihr „Lebensmittelpunkt“ sprich ihr offensichtliches Zuhause dahinter birgt.

In unserem Falle hat die Lafone Investment Limited, mit damaligen Geschäftsführer Dewhurst (DieWurst), in anwaltlicher Vertretung durch RA André Tessmer am 14.02.2016, eine Räumungsklage gegen die beiden angetroffenen Personen eingeleitet.

Aufgrund der Wahrung des „hohen“ Gerichts durch die Gegenseite, konnten wir uns ab da relativ sicher sein, dass während die Zivilklage läuft, wir keine unerwünschten Gäste vor der Tür haben werden.

Auch war das Strafverfahren der beiden angetroffenen Personen wegen Hausfriedensbruch im Oktober 2015 mit einem Freispruch beendet worden.

https://linksunten.indymedia.org/en/node/192532

http://www.tagesspiegel.de/berlin/prozess-im-amtsgericht-tiergarten-nachtgaeste-der-rigaer-strasse-freigesprochen/14653774.html

Angebiedere des Eigentümers

In den nächsten Wochen wurde es sehr turbulent rund um die Rigaer
Straße. Erst Gefahrengebiet und im Anschluss die Belagerung unseres Hauses. Während der Eigentümer gegen unsere Freunde vom Hinterhaus vor Gericht verloren hat, haben der Senat und die Bullen im speziellen bundesweit zu spüren bekommen, dass es auch für sie ein schwieriges Unterfangen wird, irgendetwas in unserem Haus zu räumen. Dieser ganze Stress hat die Eigentümerseite scheinbar dazu gebracht doch lieber auf das Konzept der Verhandlungen zu setzen. Am Anfang wurde noch probiert, Hinterhaus Besetzer*innen gegen Vorderhausbesetzer*innen auszuspielen, indem dem Hinterhaus Verträge angeboten wurden, wenn im Gegenzug die Vorderhauswohnung geräumt wird (HH zu dem Angebot des Eigentümers). Darauf ist natürlich niemand eingegangen. In unserem konkreten Fall bedeutet das jetzt, dass uns Verträge angeboten worden, zu den gleichen Konditionen, wie unsere Nachbar*innen im Vorderhaus. Das müsste so grob was bei 4€/ qm warm betragen. Wir sind auf keine Verhandlungen mit dem Eigentümer eingegangen.

Räumungsklage

Am 02.02.17, ein Jahr nach Eingang der Räumungsklage, kam es dann zum Prozess mit anwaltlicher Vertretung der Gegenseite (wobei hier
niemandem mehr klar war, wer das überhaupt sein soll) durch RA
Markus Bernau. https://linksunten.indymedia.org/en/node/200460

Der Richterin reichte es in unserem Falle zum einen nicht aus, dass vor eineinhalb Jahren mal irgendwelche Leute in unserer Wohnung waren und zum zweiten, die Unklarheit über die derzeitigen Besitzverhältnisse. An diesem Tag wurde kein Urteil gesprochen.

https://linksunten.indymedia.org/en/node/202482

https://linksunten.indymedia.org/en/node/202852

Jetziger Stand

Der jetzige Stand rund um die Rigaer94, aus rechtlicher Sicht, ist
unklar. Irgendwelche Snobs auf Steuerparadiesinseln schieben sich
unser Haus hin und her. Aber das ist uns egal. Eher belustigend, wenn
mensch sich jene mal genauer ansieht:
https://linksunten.indymedia.org/de/node/209522

Hausverwaltung scheint es gefühlt endlich auch nicht mehr zu geben. Dazu noch ein Link, als Belima besucht werden musste, nachdem sie sich wieder unerlaubt Zutritt zu unseren Nachbar_innen verschafft hatten:
https://linksunten.indymedia.org/en/node/154129

Kann das Schule machen?

Am Anfang jeder Besetzung steht natürlich die Frage nach dem Sinn. Soll auf Wohnungsleerstand aufmerksam gemacht werden oder auf krumme Geschäfte zwischen Politik und irgendwelchen Investor*innen, oder wird die Wohnung, wie in unserem Fall, für den eigenen Gebrauch besetzt? Für alle diese Formen haben wir gute und teilweise schiefgelaufene Aktionen herausgesucht, um es ein bisschen verständlicher zu machen.

Eine in unseren Augen gut gelaufene Besetzung, um krumme Deals in die Öffentlichkeit zu ziehen, war die Besetzung der Schlesischenstr. 25 in Berlin (link zu linksunten). Es wurde schnell geschafft, viele Menschen zu erreichen und es gab auch ein Zusammenspiel von Leuten im Haus und Aktionen auf der Straße, brennende Barrikaden haben am hellichten Tag in Kreuzberg die anrückenden Bullen gebremst. Und spätestens nach der Aktion wussten viele Leute im Kiez, dass der Senat ziemlich viele Häuser an die GSW verscherbelt hatte.

Seit einem guten halben Jahr gibt es in Berlin immer mal wieder den
Versuch Ferienwohnungen zu squatten (wie besetze ich eine Ferienwohnung). Mal gelingt es (Besetzung am Kanal) und manchmal geht es auch schief (snitch verrät die Besetzung an die Bullen). Das
Thema ist gut geeignet, weil viele Berliner*innen erkannt haben, dass
die Zweckentfremdung von Wohnraum zu ihren Ungunsten ausgeht.

Alle diese Versuche haben aber eins gemein. Die Besetzungen bleiben nur für einen kurzen symbolischen Moment und am Ende sind meistens mehrere Leute von Repression betroffen. Was wäre aber zum Beispiel passiert, wenn die Wohnungen in der Schlesischen25 still besetzt worden wären. Auch dort hätten die Nachbar*innen mit Sicherheit nicht die Hausverwaltung darüber informiert, dass sich Leute Wohnungen angeeignet haben. Wenn das Ganze dann für 2-3 Monate nicht aufgefallen wäre, hätte es bestimmt auch dort mit wohnähnlichen Zuständen funktionieren können. Wenn dann die Bullen das erste Mal da waren, hätte die Besetzung immer noch offensiv nach außen getragen werden können. Bei den Ferienwohnungen ist das natürlich etwas schwieriger, da die wahrscheinlich in kontinuierlichen
Abständen vermietet werden.

Wir stellen uns folgendes vor: bei den Leuten von unserblock wurden laut unseren Informationen auch schon diverse Wohnungen entmietet. Was würde passieren, wenn sich dort Leute den entmieteten Wohnraum aneignen und gemeinsam mit den regulär Miete zahlenden Nachbar*innen gegen die Eigentümer*innen wehren würden. Es wäre eine win-win-Situation. Die Besetzer*innen könnten ihre Idee einem breiten Personenkreis erklär- und sichtbar machen. Und die Nachbar*innen hätten im Kampf gegen ihre Verdränger*innen erst einmal neue Stressfaktoren, an denen sich die Eigentümer*innen abarbeiten müssten. Außerdem würde es mehrere Spektren zusammen bringen.

Wir schlagen also vor: falls es in euerem Kiez, in eurer Stadt Gebäude
mit leerstehenden Wohnungen gibt, wo ihr euch recht sicher seid, dass die Nachbar*innen euch wohlgesonnen sind, oder wo es nicht sofort auffällt, dass eine Wohnung aufgebrochen wird, nehmt sie euch. Für den Fall das es nicht klappen sollte, bleibt nur noch der
Hausfriedensbruch, wo es scheinbar auch gute Möglichkeiten gibt,
ohne Kosten heraus zu kommen. Und die Wahrscheinlichkeit einer
illegalen Räumung könnte mensch noch verringern, indem immer sofort fitter Rechtsbeistand angerufen wird. Denn nach unserem Wissen wäre eine Räumung illegal, sobald es Menschen zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben.

Wir könnten das Ganze auch weiterdenken, es gab im letzten Jahr
bundesweit Versuche Social Center zu besetzen. Was mehrfach
gescheitert ist. Wieso also nicht Wohnungen besetzen und diese nach dem ersten Bullenkontakt an Geflüchete abgeben und neue besetzen? Bei uns liegt zwischen Bullenkontakt und Räumungsklage (wenn die durch ist, kommen die Bullen sicher bald wieder) ein Jahr. Und auf Grund von dem ganzen Stress wird uns jetzt auch noch die Wohnung zu Konditionen angeboten, die unter dem Mietspiegeldurchschnitt liegt. Wenn also Menschen billigen und nicht kostenlosen Wohnraum erstreiten wollen, könnte auch das ein Mittel zum Erfolg sein.

Solidarische Grüße an alle Besetzer_innen und Widerständigen!

Besetzen
ist machbar, Frau Nachbar!